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Zum ersten Mal in der Schweiz hat eine Berufungsinstanz die umstrittene Frage entschieden, ob Geschäftsmieter aufgrund der behördlichen Covid-Zwangsschliessungen Anspruch auf eine Mietzinsherabsetzung haben.

Die Gerichte in Basel-Stadt und Locarno schützten die Geschäftsmieter und bejahten Mietzinsherabsetzungen von 30% bzw. 70%. Gegenteilig kamen die Mietgerichte Zürich und Genf zum Schluss, bei behördlichen Schliessungen von Geschäftsbetrieben sei keine Mietzinsreduktion geschuldet.

Auf erster Gerichtsinstanz steht es somit 2:2. Vermieter und Geschäftsmieter warteten deshalb gespannt auf ein obergerichtliches Urteil zur Frage der Mietzinsreduktion für Geschäftsflächen während den behördlich verordneten Covid-Zwangsschliessungen.

Nun liegt es vor. Das Appellationsgericht des Kantons Tessin gibt den Geschäftsmietern Recht und bejaht den rechtlichen Anspruch auf Mietzinsherabsetzung. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass die behördlichen Zwangsschliessungen einen Mangel im mietrechtlichen Sinn darstellen. Die behördlich angeordnete Schliessung von Einrichtungen aufgrund der Covid-19-Pandemie sei als verwaltungsrechtliche und gesundheitspolitische Anordnung zu qualifizieren, die den vorausgesetzten bzw. vereinbarten Gebrauch des Mietobjekts verhindern oder einschränken können. Sie ist im Ergebnis ein Rechtsmangel am Mietobjekt.

Damit haben die Geschäftsmieter aufgrund der behördlichen Vorgaben, wie sie während der Pandemiezeit vorgegeben wurden, einen Anspruch auf Herabsetzung des Mietzinses. Das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichts Locarno, das gleichermassen begründet war, wurde bestätigt.

Der Tessiner Fall hat grosse Relevanz für die laufenden Prozesse und Vergleichsgespräche.

Im Einzelnen stellte das Tessiner Appellationsgericht fest, dass die Covid-Zwangsschliessung mit einem gesundheitspolizeilichen Hindernis (das als Rechtsmangel gilt) gleichgestellt sei. Die behördlich verlangte Schliessung führte zum Wegfall der Möglichkeit der vertraglich zugesicherten Nutzung als "Restaurant mit Unterkunft". Da der vereinbarte Gebrauch des Mietobjekts nicht mehr möglich war, liegt ein Mangel im Sinne des Mietrechts vor. Der Vermieter haftet grundsätzlich für jeden Mangel an der Mietsache, der nicht dem Mieter zuzurechnen ist, was hier zutrifft. Dies gilt unabhängig von der Ursache des Mangels und davon, ob dieser in den Einflussbereich des Vermieters fällt oder nicht oder ob ihn ein Verschulden trifft.

Das Gericht verneinte das Argument der Vermieterin, dass die behördlich angeordnete Schliessung in die Risikosphäre des Mieters falle. Der Mieter trage das Risiko für das Ausbleiben von Kunden, wohingegen die Möglichkeit, das als "Restaurant mit Beherbergung " bezeichnete Mietobjekt zu nutzen und damit eine entsprechende Geschäftstätigkeit auszuüben, eine Eigenschaft des Mietobjekts darstellt, worauf der Mieter vertrauen durfte.

Da das Appellationsgericht des Kantons Tessin den mietrechtlichen Mangel bejahte, brauchte es keine Prüfung, ob eine «gravierenden» Äquivalenzstörung» (clausa rebus sic stantibus), die einen allfälligen Anspruch auf eine Mietzinsreduktion begründen würde, vorlag. Der Geschäftsmieter hatte keine existentielle Bedrohung infolge der Zwangsschliessung zu beweisen. Auch musste der Mieter keine Auskunft über erhaltene staatliche Gelder und Versicherungsleistungen erteilen oder dem Vermieter Einblick in die Geschäftszahlen gewähren.

Was die Höhe der Herabsetzung angeht, so ist wegen Anwendbarkeit des mietrechtlichen Mängelrechts nur die Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit von Relevanz. Das Tessiner Appellationsgericht entschied, dass das Mietobjekt für Tätigkeiten im Bereich Logistik, Warenlagerung usw. für 10%, für die Beherbergung und Verpflegung von Hotelgästen für 30% sowie für Take-away für 10% genutzt werden konnte. Dadurch gelangte das Tessiner Obergericht zu einer Mietzinsreduktion von 50%. Die Vorinstanz in Locarno sprach dem Geschäftsmieter 70% Herabsetzung zu, weil die Hoteleinnahmen tiefer eingeschätzt wurden.

Das Urteil wird unseres Wissens an das Bundesgericht weiter gezogen. Ein bundesgerichtlicher Entscheid zur endgültigen Klärung dieser seit Pandemiebeginn umstrittenen Thematik könnte noch in diesem Jahr gefällt werden.

Das Tessiner Appellationsurteil in deutscher Übersetzung finden Sie in der Beilage [PDF].


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E-Mail: Info@Geschaeftsmieter.org, www.geschaeftsmieter.org
 

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